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Gesundheit und Arbeitslosigkeit in Berlin: Beratungsangebot in den Jobcentern und Arbeitsagenturen wurde nachhaltig um Gesundheitsorientierung erweitert

Menschen in Arbeitslosigkeit sind mit hohen gesundheitlichen Belastungen konfrontiert. Viele Betroffene ziehen sich aufgrund der belastenden Lebenssituation zurück, in vielen Fällen sind die Jobcenter oder die Agenturen für Arbeit die einzig verbleibende institutionelle Anlaufstelle. In Beratungsgesprächen geht es deswegen oft nicht allein um die Arbeitssuche, sondern auch um die Gesundheit. Hier setzt das Modellprojekt „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“ an und berichtet , welche Erfahrungen mit gesundheitsorientierten Beratungsgesprächen gemacht wurden.

Beratung im Jobcenter, eine Person hält einen Flyer

Gesundheitsorientierte Beratungsgespräche (GoB) - Ein neuer Baustein in der Beratung von Arbeitssuchenden

Im Modellprojekt zur Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung arbeiten Jobcenter, Agenturen für Arbeit, gesetzliche Krankenkassen und kommunale Partnerinnen und Partner kooperativ zusammen. Um die Gesundheit von Arbeitssuchenden zu verbessern, setzt das Modellprojekt am Beratungs- und Dienstleistungsangebot der Jobcenter und Agenturen für Arbeit an. Integrations-, Beratungs- und Vermittlungsfachkräfte werden geschult und qualifiziert, um eine individuelle gesundheitsorientierte Beratung (GoB) anbieten und umsetzen zu können. Diesen Baustein des Projekts bringen die beteiligten Jobcenter und Agenturen für Arbeit in die Kooperation ein. Schwerpunkte in der Qualifizierung sind z. B. Techniken der motivierenden Gesprächsführung und wie das Thema „Gesundheit“ sensibel in der Beratungssituation angesprochen werden kann. 

Durch die Weiterbildung sind Mitarbeitende in Jobcentern und Agenturen für Arbeit in der Lage, Gesundheitsthemen und deren Bedeutung für die (Re-)Integration in Arbeitsleben gezielt zu  verdeutlichen. Mit Blick auf die individuelle Situation der arbeitssuchenden Person werden Bedarfe erörtert, Unterstützung für die nächsten notwendigen Schritte angeboten und weiterführenden Beratungs- und Hilfsangebote vorgeschlagen oder terminiert. Je nach Bedarf sind dies die Teilnahme an gesundheitsfördernden Angeboten, die im Modellprojekt umgesetzt werden oder kommunale Angebote in den Bezirken (z. B. von Sportvereinen oder Familienzentren). In vielen Fällen sind es auch längst anstehende Arzt/Ärztin-Besuche oder längere Reha-Maßnahmen, die dann mit Unterstützung der Beratenden angegangen werden. 

Umsetzung der GoB vor Ort 

Wie die individuelle GoB in die Beratungs- und Vermittlungsarbeit einfließt, gestaltet sich an den Berliner Standorten des Modellprojekts durchaus   unterschiedlich. An manchen Projekt-Standorten wurden ganze Teams geschult, z. B. das Team des Fallmanagements oder Teams, die spezifische Zielgruppen betreuen (Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Leistungsbeziehende mit längerfristigen gesundheitlichen Einschränkungen). Die Erfahrung zeigt, dass die GoB auf unterschiedliche Arten in den Beratungsalltag einfließt, sei es durch anlassbezogene Gespräche oder spezifische Themensetzung in der Beratung. 

In Berlin Lichtenberg sind zwei Integrationsfachkräfte des Jobcenters ausschließlich für die GoB zuständig. Sie initiieren über die Beratung hinaus „Kiezspaziergänge“ und Kurse wie „Progressive Muskelentspannung“. Zudem bieten sie Beratungssprechstunden in der unmittelbaren Wohnumgebung an (z. B. in Familien- und Stadtteilzentren) und begleiten auch zu besonders wichtigen Terminen. So wird die Gesundheitsberatung im Jobcenter sehr sichtbar und ganzheitlich präsentiert. Bei der Schulung von ganzen Teams ist hingegen vorteilhaft, dass das Thema damit sehr breit verankert ist und bei personellen Wechseln Kontinuität erhalten bleibt. 

Folgende Rahmenbedingungen unterstützen die Umsetzung   der GoB im Arbeitsalltag:

  • Für die Beratung sollte ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. 
  • Für eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre ist eine gute Beziehung zwischen Fachkraft und der arbeitssuchenden Person wichtig.
  • Die Intensität und das Tempo der Beratung sollten sich nach den Bedürfnissen der zu beratenden Person richten. 
  • Eine bereits vorhandene Qualifikation bzw. Erfahrungen der Fachkräfte in der Beratung und Begleitung von Menschen mit multiplen Belastungen ist hilfreich. 
  • Auch kleine Fortschritte gelten lassen: die Vermittlung in Arbeit kann in manchen Situationen auch zurückgestellt werden, um zunächst andere Themen in den Vordergrund rücken zu können (Hausarztbesuch, Schuldenberatung).

Resonanz und Erfahrungen in der Umsetzung der GoB

Sowohl Fachkräfte in den Jobcentern und Agenturen für Arbeit als auch arbeitssuchende Menschen äußerten sich positiv zur Erweiterung der Beratung um Gesundheitsorientierung. Arbeitssuchende reagierten zum Teil sehr überrascht, von Seiten des Jobcenters bzw. der Agentur für Arbeit zu gesundheitsbezogenen Themen angesprochen zu werden. Viele Personen erlebten dies jedoch als positiv und wurden durch die Beratung bestärkt, gesundheitsbewusstes Verhalten in ihren Tagesablauf zu integrieren oder Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Oft veränderte sich auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitssuchenden und den Fachkräften zum Positiven.  

„Die Schulung zur Gesundheitsorientierten Beratung hat uns grundsätzlich im Handeln bestätigt, aber noch einmal zur Thematik sensibilisiert bzw. diese ins Bewusstsein gerückt.“ (Florian Kaiser, Jobcenter Berlin Neukölln)

Auch die Fachkräfte selbst konnten sich durch die Schulung weiterentwickeln: „Das Thema der gesundheitsorientierten Beratungsgespräche gewinnt an Gewicht, wenn es mit einer Schulung behandelt wird. Denn die Schulung ermöglichte den Fachkräften eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, z. B. in Form von Gruppenarbeit und befähigt sie, entsprechend zu beraten. Dadurch erhöht sich dann auch der Stellenwert im Beratungsalltag.“ (Nicole Peterwitz, Jobcenter Berlin Steglitz-Zehlendorf).

Wichtig ist, dass die Fachkräfte auch über die Schulung hinaus in der Umsetzung der GoB unterstützt werden. Das Thema Gesundheit spielt beispielsweise in Dienstbesprechungen eine große Rolle, bei Bedarf werden externe Fachkräfte zu einem Input eingeladen . 
Das Projektteam bei Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. bietet zudem regelmäßig Telefonfortbildungen an. Unter dem Titel „Guter Draht zu Gesundheit“ werden auf unkomplizierte Weise Themen der Gesundheitsförderung und Prävention in einem kurzweiligen sechzigminütigen Format behandelt.

Schlussbemerkung

Alle Umsetzungsformen der GoB haben Vor- und Nachteile was Bandbreite der Ansprechbarkeit, Themen und Nachhaltigkeit angeht. Positiv ist, dass alle teilnehmenden Jobcenter und Arbeitsagenturen eine große Experimentierfreudigkeit und Bereitschaft beweisen und sich Wissen und Erfahrung um die Gesundheitsförderung von Arbeitssuchenden den Weg in die Arbeitsförderung bahnt – auf die eine oder andere Weise.

Hintergrund: In Berlin und Brandenburg wurde der Träger Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. mit der kassenseitigen Umsetzung des Modellprojekts zur Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung beauftragt. Das Modellprojekt wird gefördert durch die BZgA im Auftrag und mit Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen nach § 20a SGB V (mehr Informationen unter www.gesundheit-und-arbeitslosigkeit.de).

Sylvia Wellhausen, Cornelia Reichert, Modellprojekt Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt im Land Berlin 
 

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