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Gesundheitsförderung für Arbeitslose in Berlin: Angebote trotz Kontaktbeschränkungen und Planungsunsicherheiten wichtiger denn je

Menschen in Arbeitslosigkeit in ihrer Gesundheit und Teilhabe (be)stärken! Das ist das Anliegen des Modellprojekts zur Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung im Land Berlin. Ein Baustein sind gesundheitsorientierte Angebote: Sie bieten Raum, sich auszutauschen, zu gesundheitsbezogenen Themen zu informieren oder auszuprobieren, was das eigene Wohlbefinden stärkt. Für teilnehmende Menschen in Arbeitslosigkeit sind sie damit auf der einen Seite oft eine gute Brücke in die kommunale Angebotslandschaft, auf der anderen Seite oft auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine neue Arbeit. In der Coronapandemie war die Umsetzung solcher Angebote von Planungsunsicherheiten begleitet. Zusammen mit sehr engagierten Trägern und Fachkräften können jedoch an allen Standorten des Modellprojekts in Berlin weiterhin Angebote umgesetzt werden.

Zeichnung von zwei Personen, eine sitzt in einem Garten, die andere Person joggt.

Grafik: Nicolas Dölken

Gerade für Menschen in Arbeitslosigkeit war und ist die Coronapandemie besonders belastend. Seit der schrittweisen Öffnung und Neustart von Angeboten im Sommer 2021 wurde aber auch deutlich, wie sehr die Pandemiesituation den Alltag für Menschen in Arbeitslosigkeit bestimmt. Beispielsweise trafen sich bei einem Angebot mehrere junge (alleinerziehende) Mütter, die gerade kurz vor oder nach dem Ausbruch der Pandemie ein Baby bekommen hatten. Oft ist die Zeit mit einem neuen Baby besonders, weil sich viele neue Kontakte ergeben und ganz neue Erfahrungen gemacht werden. Diese Mütter erzählten, dass sie unter Einsamkeit litten und wenig Möglichkeiten hatten, Kontakte mit den anderen Müttern zu knüpfen, auch um Rat und Hilfe zu finden. Das ist ein Beispiel, zeigt aber, wie wichtig in Zeiten von Kontaktbeschränkungen Angebote für diejenigen sind, die z. B. nicht von regelmäßigen Kontakten im Arbeitsumfeld profitieren.

Ab Mitte 2021 wurden im Projekt wieder einige Angebote in Präsenz umgesetzt. Die Angebote sind das Ergebnis einer aufwendigen Planung, bei der eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren beteiligt sind: Jobcenter, Arbeitsagenturen, die Steuerungskreise, Träger der Familien- und Stadtteilzentren bzw. Bildungsträger sowie durchführende Fachkräfte.

In der Umsetzung hat das Projekt folgende Erfahrungen gewonnen:

  • Kleine Gruppen geben viel Raum für Austausch: Die über den Winter umgesetzten Angebote fanden durchschnittlich mit vier bis fünf Teilnehmenden statt. Einerseits bildet sich hier die Herausforderung ab, einen guten Zugang zu Menschen in Arbeitslosigkeit zu finden. Anderseits erwies sich die Kleingruppe z. T. als Vorteil:  Die durchführenden Fachkräfte beschreiben, dass es den Teilnehmenden in der kleinen Gruppe leichtfiel, ihre Anliegen und Wünsche einzubringen. Wenn die Verbindlichkeit der Teilnahme sehr unterschiedlich war oder die Gruppe größer, fiel es den Teilnehmenden schwerer, sich aufeinander zu beziehen oder sich zu beteiligen. 
     
  • Ressourcen und Zeit für eine intensive Begleitung sind wichtig: Eine kleine Gruppe ermöglicht es den durchführenden Fachkräften, die Teilnehmenden intensiv zu begleiten. Dies erscheint wichtig, da sich viele der Teilnehmenden in belastenden und unstabilen Lebenssituationen befinden, z. B. aufgrund von Arbeitslosigkeit im Zusammenspiel mit familiären Konflikten oder psychosoziale Belastungen. Die wertschätzende Begleitung, das Eingehen auf die Person in ihrer Lebenssituation und Aufmerksamkeit für Gruppenprozesse ist äußert anspruchsvoll. Die Erfahrung und Kompetenz der Fachkräfte bewährten sich daher sehr. Als hilfreich schätzen die Fachkräfte v. a. die Einzelgespräche ergänzend zu den Gruppenangeboten ein.
     
  • So komplex wie die Lebenssituationen sind auch die Bedarfe, die in den beteiligungsorientierten Angeboten „aufpoppten“: Wichtig war Teilnehmenden z. B. ihre persönliche Gesundheit und Ressourcen zu stärken, mit Belastungen und Stress gut umgehen zu können oder Kraftquellen für sich zu entdecken. Teilnehmende äußerten zudem Bedarfe an Unterstützung in der Erziehungskompetenz, Orientierung zu (sozial-)rechtlichen Fragen und Beratung zu (Weiter-)Bildung und Beruf. Hier bewährt sich eine gute Einbindung der beteiligten Einrichtungen in Netzwerkstrukturen, um passende Anlaufstellen aufzuzeigen. Ebenso bewährt sich eine gute Kommunikation zwischen den Jobcentern bzw. Agenturen für Arbeit und den durchführenden Einrichtungen sowie Fachkräften. Dadurch gelingt es, Bedarfe in Richtung Arbeitsförderung aufzugreifen und wiederum den Weg in Leistungen des Jobcenters bzw. der Agenturen für Arbeit zu ebnen.
     
  • Es ist unterschiedlich, wovon die Teilnehmenden am meisten profitieren: Für manche ist es der vertrauensvolle Austausch mit anderen Menschen in ähnlicher Lebenslage, das Gefühl, mit der belastenden Situation nicht allein zu sein oder bestärkt zu werden, den Schritt in ein weiterführendes Angebot oder zu einer Beratungsstelle zu wagen. Andere schätzen ein unverbindliches, offenes Angebot z. B. zum Thema Bewegung. Zum Teil ist es auch die Kombination aus praktischen Übungen zur Entspannung, Achtsamkeit, Ernährung gepaart mit Infos und Austausch. Manche Teilnehmende sehen die Angebote als Zeit für sich, was zwischen Kinderbetreuung und Alltag oft untergeht. Für andere ist der regelmäßige Termin hilfreiche Struktur im Alltag. Oft bauen die Teilnehmenden eine Bindung zu den Einrichtungen auf und erfragen weitere Angebote. Viele haben auch Kontakte untereinander aufgebaut und freuen sich z. B. über zufällige Begegnungen im Kiez.  

Deutlich wurde in jedem Fall: Jede Zielgruppe und jeder Standort haben Besonderheiten, die sorgfältig einzubeziehen sind. Die Berücksichtigung der Lebenssituation von arbeitslosen Menschen im Rahmen der Gesundheitsförderung ist genauso wichtig wie wohnortnahe und niedrigschwellige Angebote in einem vertrauensvollen Umfeld.

Abschließend ein kleiner Überblick über die laufenden bzw. geplanten Angebote im Frühjahr und Sommer im Jahr 2022, mehr Informationen auf www.gesundheit-und-arbeitslosigkeit.de

  • Sport- und Ernährungsangebot – beteiligungsorientiertes Angebot für (Allein-) Erziehende in einem Gemeindezentrum in der Thermometersiedlung startet wieder Ende April; Kinder können mitgebracht werden (Berlin Steglitz-Zehlendorf).
     
  • Umgang mit Stress und belastenden Situationen – ab Juni finden wieder wöchentliche Kleingruppentreffen mit ergänzender Einzelberatung im Gartenpavillon eines Tageszentrums statt (Berlin Steglitz-Zehlendorf).  
     
  • Stressmanagement für Familien – ab Juni startet erneut der bedarfsorientierte Onlinekurs in der Gruppe in Kombination mit Einzelberatung für Kundinnen und Kunden der Agentur für Arbeit Süd.
     
  • Was ist denn Gesundheit? – ab Ende April startet das partizipativ ausgerichtete Angebot erneut, Theorie und Praxis wechseln sich ab. In den Theoriestunden wird zu Themen wie Regeneration, eigene Bedürfnisse, Ernährung sowie Bewegung gesprochen und geübt. An den Praxistagen werden Angebote im Umfeld besucht und ausprobiert (Berlin-Mitte).
     
  • Wie geht es Ihnen heute? – Gesundheitsinformationsreihe mit Workshopcharakter ab April bis Oktober 2022. Darum geht's: Motivation zu Bewegung im Alltag finden, Tipps und viele Beispiele für eine gesunde Ernährung und preiswerten Einkauf, Informationen zum Umgang mit Krisen und psychischen Belastungen insbesondere für junge Menschen (Berlin Neukölln).
     
  • Gesundheitsinformationen und Coaching in Maßnahmen der Arbeitsgelegenheiten – seit November 2021 ist eine Gesundheitscoachin eingesetzt mit dem Ziel, die Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden zu stabilisieren und ihnen zu ermöglichen, ihre individuellen Ressourcen und Potenziale im Alltag zu erkennen und zu stärken. Dies geschieht in Kombination mit der interaktiven Vermittlung von Gesundheitsinformationen in der Gruppe (Berlin Spandau).

An mehreren Standorten sind im Sommer und Herbst zudem Gesundheitstage geplant, u.a. ein großer Familien-Gesundheitstag in der Zitadelle Spandau und ein Gesundheitstag an einer bezirklichen Einrichtung in Berlin Mitte.

Autorinnen und Autoren: Sylvia Wellhausen, Julian Bollmann und Cornelia Reichert, Modellprojekt zur Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt Berlin

Kontakt und Ansprechperson für Nachfragen: Cornelia Reichert, Projektleitung (reichert[at]gesundheitbb.de)

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